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Krank, kriminell oder normal

homo.net Info vom 12. Mai 2022
von Webmaster Jan

 

Am 17. Mai 1990 strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus der internationalen Klassifikation der Krankheiten. Es vergingen noch vier weitere Jahre, bis 1994 diese Entscheidung mit der nächsten Ausgabe des DSM (Diagnostisches und statistisches Handbuch psychischer Störungen) für Ärzte und Psychiater wirksam wurde.

Seit 2005 begehen wir deshalb an diesem Tag den Internationalen Tag gegen Homophobie (IDAHO). 2009 kommt die Transphobie dazu, 2015 die Biphobie und seit 2016 auch die Interphobie. Jetzt begehen wir also am 17. Mai den Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Im Englischen wird „International Day Against HOmophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia“ auf IDAHOBIT verkürzt.

Vereinzelt wird die Transphobie auch schon mit Gendersternchen Trans*phobie geschrieben. Es ist noch viel Platz im Alphabet. Wenn auch das Plus noch kommt, können wir den Gedenktag bis zu 19 weitere Mal umbenennen.

Der 17. Mai hat in Deutschland eine lange Tradition als „Schwuler Feiertag“. In Anlehnung an den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches wurde der 17. 5. auch vor 2005 schon im Volksmund spöttisch als „Feiertag der Schwulen“ bezeichnet. Dieser „Volksmund“ bestand überwiegend aus zumindest homo-unfreundlichen Heten. Scherzend wurde so über Jahrzehnte Homophobie subtil und unterschwellig verbreitet, geduldet und gefördert.

https://HomoLex.com/IDAHO.html

Erst als 1994 die Streichung von Homosexualität als psychische Krankheit offiziell in Kraft trat, bequemten sich auch die deutschen Gesetzgeber dazu, im gleichen Jahr den Paragrafen 175 endgültig zu streichen. Damit war unsere Art zu lieben mit einem Schlag weder eine Krankheit noch eine Straftat, sondern einfach nur noch normal. Vor 1994 waren wir krank und kriminell gleichzeitig. Doppelt hält besser.

Gestrichen heißt noch lange nicht abgeschafft. Offiziell kam es in Deutschland im Jahre 2021 zu 1.051 LGBT-feindlichen Straftaten. Die Dunkelziffer ist hoch. Sie liegt von staatlicher Stelle geschätzt 10 bis 20 Mal höher. Im Klartext: Wir wissen es nicht. Und das soll auch so bleiben, in Köln und Berlin etwas weniger so bleiben als in Bayern, wo die meisten Fälle gar nicht erst korrekt erfasst oder gemeldet werden.

130 Länder der Erde würdigen den IDAHO. In 70 Ländern gilt schwul sein noch immer als Krankheit und/oder Straftat. Deutschland ist längst nicht führend bei der schwulen Gleichberechtigung. Katholischen Priestern wurde das Segnen unserer Liebe von Papst Franziskus (85) explizit verboten. Das Segnen von Waffen und Hunden ist weiterhin erlaubt.

Am 8. Mai 2022 beantwortete der Pontifex handschriftlich Interviewfragen zu LGBT-Themen. „Gott ist ein Vater und verleugnet keines seiner Kinder.“ Wieso er diese theologisch triviale Selbstverständlichkeit an den Anfang seiner Epistel stellt, wird klar, wenn man die weitere Dialektik des höchsten katholischen Klerikers genauer unter die Lupe nimmt.

Aus der Apostelgeschichte sollen wir erkennen, „dass es sich nicht um ‚die Ablehnung der Kirche‘, sondern um ‚Menschen der Kirche‘ handelt. Die Kirche ist eine Mutter und ruft alle ihre Kinder zusammen.“ Wer genau alle diese gerufenen Kinder sind, lässt er geschickt offen, indem er uns auffordert, „das Gleichnis von den Festgästen“ zu studieren.

Jetzt haben wir die Qual der Wahl, wird in der Bibel doch häufiger feste gefeiert. Bei Lukas 14:15-24 im Gleichnis vom Festmahl können wir uns statt der geladenen Gäste mit Armen, Krüppeln, Blinden und Lahmen an den Tisch setzen. Auch bei Matthäus 22:1-14 verschmähen die geladenen Gäste das königliche Hochzeitsmahl und werden von den Dienern ersetzt durch alle, die sie treffen, Böse und Gute.

Allerdings, der Dresscode ist weiterhin obligatorisch und wird strikt durchgesetzt. Der nicht im Hochzeitsgewand erscheint, wird gebunden und hinaus in die Finsternis geworfen. Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen. Denn viele sind gerufen, aber nur wenige auserwählt.

Eines macht der Pontifex jedenfalls überdeutlich: Zu den geladenen Gästen gehören wir nie. Ob wir bei Matthäus oder bei Lukas nachschlagen, spielt dazu keine Rolle.

So geht vollendete Homophobie in ihrer allerhöchsten dialektischen Form.

http://homo.net/news/epistel

Ganz normal schwul
Jan
Webmaster
vom homo.net Team

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